
Die Passion atmet Hoffnung im Licht
Sibylle Schwenk
Wie fühlt es sich an, wenn man langsam stirbt? Wie groß sind die Schmerzen, wenn die Hände von Nägeln durchbohrt das eigene Körpergewicht tragen? Und wann ist der Punkt erreicht, an dem ein Mensch an der Schwelle zum Tod nur noch resigniert? „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“. Die letzten Worte Jesu am Karfreitag auf dem Berg Golgatha machen einfach nur betroffen, traurig.
Es ist schon immer das Wesen der Kunst, Emotionen zu fassen, sei es in der Musik, in der Literatur oder auf der Leinwand. Was Birgit Friedrich mit ihrem Großformat „Kreuzigung“ sowohl in Farbe als auch formaler Komposition geschaffen hat, ist Emotion pur. Als Betrachterin fühle ich Leiden, Schmerzen, ich fühle Tod und Sterben. Wäre da nicht ein heller Lichtschimmer. „Die Hoffnung ist mir wichtig“, sagt die aus Aalen stammende Künstlerin. Die Hoffnung, die gleichsam für den Glauben steht. Den Glauben an die Auferstehung.
Doch davor geschieht Golgatha. Birgit Friedrich schafft Dimension durch Schräge. Der Berg, auf dem Jesus gekreuzigt wurde, fällt von links oben nach rechts unten. Die Erde, durchdrungen vom Blut aus seiner rechten Hand, ist düster und wirkt fast so, als gäbe es kein Halten für das Fallen in die Finsternis. Dort hinein komponiert steht das Kreuz, nicht horizontal, sondern gegen die Flucht der abfallenden, abrutschenden Erde. Die Balken, gemalt in Pastellkreide, atmen Transparenz und gehen gleichsam eine Symbiose ein mit dem düsteren Wolkenhimmel. „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“
Am Kreuz ein Mensch, „ein androgynes Wesen“, wie Birgit Friedrich erklärt, der Kopf geneigt, die Dornenkrone bestimmt das Gesicht. Auch der Körper ist durchlässig. Fast so, als wolle die Künstlerin dadurch ausdrücken, dass Jesus im Tod aufgenommen wird von den Elementen der Erde, gleichzeitig jedoch zu seinem Vater in den Himmel aufsteigt.
In die Helle der Hoffnung, die Birgit Friedrich hintergründig inszeniert hat, fließt das Leiden im Blut aus der Wunde des Gekreuzigten. Brutal, mächtig und stark scheint der Blutstrahl das Hoffnungslicht zu durchbrechen. Dennoch bleibt die helle Fläche präsent und wird in künstlerischer Finesse fortgeführt in kleinen, hellen Farbfetzen.
Es ist die Zeit der Passion, des Leidens. In der Musik hat dies der Ehemann der Künstlerin, Niko Friedrich, kürzlich in einem Konzert in der Johanneskirche mit dem Stück „Vier Male“ von Wolfgang Rihm umgesetzt. Birgit Friedrich hatte diese Musik in den Ohren, als sie ihr Werk „Kreuzigung“ verwirklichte.
„Ihre“ Kreuzigung ist äußerst schmerzhaft, ein Werk, mit dem man sich auseinandersetzen, ja ins Zwiegespräch gehen kann, gehen muss. Als Betrachterin bleibt mir dennoch das Licht in aller Düsternis im Gedächtnis. Die Hoffnung. Es gibt eine Auferstehung.
Fotos: „Kreuzigung“ von Birgit Friedrich (2025, Acryl und Kreiden auf Leinwand)
Infos: Das Bild wird bis Ostern in der Johanneskirche ausgestellt sein. Öffnungszeiten sind rund um die Gottesdienste:
05.04.25: 18.30 Uhr, 12.04.25: 18.30 Uhr, 13.04.25: 10.00 Uhr, 14.04.25: 19.00 Uhr, 15.04.25: 19.00 Uhr, 16.04.25: 19.00 Uhr, 17.04.25: 19.00 Uhr
Zur Künstlerin: Birgit Friedrich wuchs in Aalen in einer musischen Familie auf, wodurch sie eine starke Prägung erfuhr. Nach dem Abitur studierte sie in Stuttgart an der Akademie der Bildenden Künste Malerei und an der Universität Kunstwissenschaft. 1989 bis 2022 war sie Kunsterzieherin am J.-S.-Bach-Gymnasium Mannheim. In ihrer eigenen Arbeit versuchte sie die Zusammenführung von Kunst und Musik in verschiedenen Techniken sichtbar zu machen. Einzel- und Gruppenausstellungen hatte sie z. B. in Mannheim, Schwetzingen, Aalen, Bayreuth. Seit 2023 lebt und arbeitet sie wieder in Aalen.