Auf dem Weg zum Ich, auf dem Weg zu Gott?
Sibylle Schwenk in der Reihe „kreuz und quer“ der Remszeitung
Er zählt zu den beliebtesten und bekanntesten Pilgerwegen in Europa: der Jakobsweg. Im Jahr 2023 nahmen den Weg nach Santiago de Compostela mehr als 445.000 Pilger auf. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren waren es nur knapp 70.000 Menschen. Pilgern ist in. Pilgern beschreibt die Grundhaltung der Menschen, immer unterwegs und auf der Suche zu sein. In früheren Jahren machte man sich fast ausschließlich aus religiösen Gründen auf einen Pilgerweg. Heute sind die Motivationen viel breiter gefächert. Mann und Frau wollen heraus aus dem Alltagsstress, sie wollen abseits von schicken Hotels und Animation hinein in den Luxus der Stille und der Einfachheit. Wollen sie dabei auch Gott finden? Kommen pilgernde Menschen anders nach Hause? Wirkt die Pilgerschaft hinein in den Alltag? Ein Gespräch in der Reihe kreuz und quer mit dem evangelischen Diakon Hartmut Wohnus und dem katholischen Pfarrer Daniel Psenner.
Sind Sie selbst schon gepilgert? Und wo?
Wohnus: Ich pilgere immer noch…mein Weg hat vor zwölf Jahren angefangen und bis jetzt bin ich 1000 Kilometer gepilgert. Ich gehe auf dem Jakobsweg. Jedes Jahr mache ich eine Etappe. Dieses Jahr werde ich im September 17 Tage unterwegs sein und rund 350 Kilometer gehen. Mich hat das Pilgern mit dem Buch von Hape Kerkeling „Ich bin dann mal weg“ so richtig gepackt. Kerkeling hat die Sehnsucht bei sich selbst ankommen zu wollen, in Worte gefasst.
Psenner: Meine erste Pilgertour liegt lange zurück. Wir waren als Ministranten in Rom und Assisi unterwegs. Damals spürte ich schon dieses besondere Gefühl, einen Zugang zu sich selbst zu bekommen. Seit 13 Jahren sind wir auch in unserer Seelsorgeeinheit pilgernd unterwegs. Schließlich sind wir hier in Bargau mit unserer Kirche eine Station auf dem Jakobusweg. Wir bewandern in der Gruppe jedes Jahr eine Etappe und werden dieses Jahr bis Straßburg gehen.
Welche Erfahrungen haben Sie dabei mitgenommen?
Psenner: Wenn man in der Gruppe unterwegs ist, braucht man Zeiten der Stille. Deshalb gehen wir bewusst manche Etappen schweigend. Man braucht tatsächlich die Stille, damit man bei sich selbst ankommen kann. Diese Erfahrung habe ich für mich gemacht und weiß es auch von anderen. Ich finde, man merkt Pilgern auch eine gewisse innere Ruhe an und sie strahlen etwas aus, was nicht selten dazu führt, dass Menschen auf dem Weg darum bitten, dass man für sie betet oder bittet.
Wohnus: Ich finde auch, dass man als Jakobspilger anders von den Menschen, denen man auf dem Weg begegnet, wahrgenommen wird. Auch die Begegnung mit Gott ist anders, als man es vielleicht erwartet. Deshalb lohnt es sich, mit offenem Herzen und vertrauensvoll die Wege zu gehen. Ich persönlich gehe lieber alleine, dann komme ich schneller in eine Phase des „Bei-mir-Ankommens“.
Sind Menschen überhaupt noch aus religiösen Motiven unterwegs? Oder geschieht dieses Gott-näher-kommen einfach so im Laufe des Pilgerwegs?
Wohnus: Ich will mir nicht anmaßen zu sagen, ob man als Christ oder Glaubender unterwegs sein muss. Ich weiß nur: Menschen, die auf dem Jakobsweg unterwegs waren, hat er verändert. Ich traue diesem Weg alles zu. Man kommt im Laufe des Gehens in eine gnadenlose Ehrlichkeit zu sich selbst, und das kann manchmal sehr schmerzhaft sein. Für mich bedeutet das: Ich will Hartmut sein, so wie mich Gott gewollt hat.
Psenner: Der Moment der Wahrhaftigkeit kommt auf dem Weg, und ich als Christ kann mich und mein Tun aus der Perspektive Gottes sehen. In dieser gnadenlosen Ehrlichkeit Gott zu begegnen ist eine besondere Erfahrung. Ermutigend wirkt für mich dabei auch der Satz des Heiligen Bernhard: „Du musst Deinem Gott nur bis zu Dir selbst entgegengehen.
Welche Tipps geben Sie jemandem, der sich auf einen Pilgerweg macht?
Psenner: Hab‘ Vertrauen und sei mutig. Geh‘ einfach los, in Deinem eigenen Tempo. Es gibt keine Konvention, an die Du Dich halten musst. Je länger Du unterwegs bist, desto leichter gelingt es Dir, den Weg zu Dir selbst zu finden. Und ich finde, das geht in Zeiten der Stille noch besser.
Wohnus: Pack‘ Deinen Rucksack und gehe von zu Hause aus los. Dann lässt Du ganz bewusst Deinen Alltag zurück, Dein Leben bis hierhin. Gehe mit offenem Herzen und ohne Erwartungen – Du kannst diesem Gott trauen, er sorgt für Dich!