Nicht ins Leere fallen
Sibylle Schwenk in der Reihe „kreuz und quer“ der Remszeitung
Was, Du gehst in die Kirche? Du betest? Du glaubst an ein Leben nach dem Tod? Solche oder ähnliche Fragen tauchen immer wieder im Freundes- und Bekanntenkreis auf. Diese sind dicht gefolgt von Aussagen wie: Ich kann ein guter Mensch sein, ohne Christ zu sein. Ich brauche die Kirche nicht, um zu glauben. Kirche erreicht die Menschen nicht mehr, und damit gehen auch Traditionen im Strudel einer zunehmend anderen Werten zugewandten Gesellschaft verloren. Wie kann der Glaube, die Kirche, das Christsein dennoch weiterhin eine Rolle im Leben der Menschen spielen? Was „bringt“ das Vertrauen auf ein Leben nach dem Tod, und das Gebet? Ein Gespräch mit dem katholischen Dekan Robert Kloker und dem evangelischen Schuldekan Dr. Harry Jungbauer.
Was fühlen Sie, wenn Sie beten?
Dr. Jungbauer: Es ist schön, alles unsortiert aussprechen zu können. Dank, Freude, Klage. Ich muss nicht überlegen, ob das, was ich sage, meinem Gegenüber zumutbar ist. Das ist eine große Erleichterung! Dinge im Gebet loszuwerden, sie auszusprechen, das erleichtert mich, gibt mir die Möglichkeit der Reflexion, und ich fühle mich danach einfach besser. Ich kann positiv(er) gestimmt in den nächsten Tag gehen.
Kloker: Für mich ist es entscheidend wann und wo ich bete. Wenn ich in der Gemeinschaft bete, hat das einen anderen Charakter, ich fühle mich im Gebet mit den anderen verbunden. Wenn ich alleine bete, wende ich mich etwas Höherem zu, was mir Geborgenheit und Sicherheit gibt.
Welche christlichen Grundsätze sind für Sie sehr wertvoll und nicht in einem humanistischen Weltbild zu finden?
Kloker: Das ist die Menschenwürde. Als Christen glauben wir, dass wir Menschen ein Ebenbild Gottes sind. Das ist humanistisch nicht begründbar. Von dieser Ebenbildlichkeit leitet sich eine andere, eine höhere/größere Würde ab. Dass in unserem Grundgesetz der erste Artikel lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ setzt die Menschenwürde an die höchste Stelle im gesellschaftlichen Kontext; eine Würde, eine Voraussetzung, die der Staat sich sozusagen nicht selbst geben kann und impliziert, dass man sich einer höheren Macht verpflichtet fühlt.
Dr. Jungbauer: Als weiterer Aspekt ist hier die Trennung zwischen Person und Werk zu nennen, an den wir als Christen glauben. Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Taten. Das heißt: Menschen sind auch dann wertvoll, wenn sie ganz schreckliche Dinge getan haben. Es geht um den Menschen an sich in unserem Glauben. Weil wir daran glauben, dass es nach dem Tod weitergeht, gibt es auch eine Verbindung dieser beiden Leben. Wir haben hier Aufgaben, die in das „Danach“ hineinwirken.
Wie kann der Glaube an ein Leben nach dem Tod im Hier und Jetzt helfen?
Dr. Jungbauer: Es bedeutet für mich Entlastung, weil ich dann das Gefühl habe, dass ich nicht alles, was ich tun will, in dieses kleine irdische Leben packen muss. In dem Leben nach dem Tod ist alles möglich. Es bedeutet für mich auch, dass nicht alle offenen Fragen aus dem irdischen Leben vor dem Tod geklärt werden müssen, weil ich Antworten bekommen werde in einem anderen Leben. Und es bedeutet für mich, dass es eine letzte Form der Gerechtigkeit geben wird, denn trotz aller notwendigen Mühe in unseren Gerichten schaffen wir niemals auf der Welt völlige Gerechtigkeit. So hilft mir die Hoffnung auf Gottes neue Welt, die ungeklärten Ungerechtigkeiten auf dieser Erde, im großen oder kleinen Kontext, zu ertragen.
Kloker: Zunächst möchte ich sagen, dass sich die Menschen nicht mehr mit dem Tod auseinandersetzen und dieses Thema an den Rand gedrängt wird. Man kann es vielleicht lange ausblenden, aber irgendwann wird man davon eingeholt. Für mich ist der Glaube an ein Leben nach Tod die Aussicht, nicht ins Leere oder in ein Loch zu fallen. Zwar weiß niemand, wie dieses neue Leben dann aussehen wird, auch wenn uns in der Bibel Bilder wie die vom „Himmlischen Hochzeitsmahl“ vermittelt werden. Ich glaube und hoffe auf ein Leben in Gemeinschaft, auf ein Leben in Fülle und ich glaube, dass all unsere lieben Toten an einem guten Ort sind.