Das Feuer weitergeben
Andreas Ruiner in der Reihe „Wort zum Sonntag“
„Aus dieser Kirche trete ich aus“ – dieser Ankündigung haben in den letzten Jahren immer mehr Menschen Taten folgen lassen. Im Jahr 2022 waren es in Deutschland über 520 000 Katholiken, welche die Kirche verlassen haben. Unter ihnen finden sich immer häufiger auch religiöse Menschen. Eine Forschungsgruppe im Bistum Essen machte bereits im Jahr 2018 als wesentliche Gründe für Kirchenaustritte „Entfremdung“ und „fehlende Bindung“ aus – nicht also die Kirchensteuer. Uns als Kirche dürfen diese dramatischen Austrittszahlen nicht kalt lassen und die Frage steht im Raum: „Wer entfremdet sich eigentlich von wem?“. Als Kirche müssen wir uns fragen: „Verstehen uns die Menschen noch? Werden wir gesellschaftlich überhaupt noch als Gesprächspartner ernstgenommen? Sind die Wege zu unseren Angeboten niederschwellig oder so voraussetzungsreich, dass sie für viele überhaupt nicht in Frage kommen?“. Wir leben in einer Zeit massiver Unsicherheit und vielerorts überlasteter öffentlicher Strukturen. Angst vor Krieg, extremistischer Hass und Gesetzesvorhaben, die den Schutz menschlichen Lebens am Lebensbeginn und am Lebensende immer stärker gefährden. Wir als Kirche sollten Position beziehen und tatkräftig zu einer lebensfreundlichen Gesellschaft beitragen. Ja, es gibt noch hervorragendes kirchliches Engagement mit großer und wichtiger Wirkung: Sternsingeraktionen, Martinsumzüge, Seniorenkreise, Jugendarbeit. Und natürlich auch Gottesdienste und Rituale, die den Menschen als transzendentes Wesen ansprechen, ihm Hoffnung und Trost schenken. All dies ist jedoch bei diesem massiven Rückgang von Kirchenmitgliedern, Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen zunehmend bedroht. „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“ – so lautet ein Zitat des französischen Philosophen Jean Jaurès – vielleicht sollten wir als Kirche uns das noch stärker bewusst machen.