Foto (Schwenk). Michael Schubert, Regionalleiter Samariterstiftung, Behindertenhilfe Ostalb(links) und Markus Mengemann, Regionalleiter Caritas Ost-Württemberg

„Good News“ über den Pflegeberuf verbreiten

Sibylle Schwenk in der Reihe „kreuz und quer“ der Remszeitung

Der Pflegenotstand hat uns längst erreicht. Gefühlt seit Jahrzehnten ist die Entwicklung voraussehbar. Es gibt zu wenig Fachpersonal in der Pflege. Obwohl mittlerweile kleine Schritte seitens der Einrichtungen und der Politik gegangen worden sind, bleibt der Eindruck, Verbesserungen im Sinne von Entlastung kommt bei denen, die die Arbeit tun, nicht an. Ein Gespräch mit dem Regionalleiter der Caritas Ost-Württemberg, Markus Mengemann und mit Michael Schubert, Regionalleiter der Samariterstiftung – Behindertenhilfe Ostalb.

Wie ist die Situation momentan in Ihren Einrichtungen?

Markus Mengemannn: Bereits jetzt haben wir einen massiven Personalmangel, der dramatische Ausmaße annehmen wird. Nach einer Statistik des Instituts der Deutschen Wirtschaft fehlen momentan 200.000 Pflegekräfte in Deutschland. Bis zum Jahr 2030 soll diese Zahl auf eine halbe Million steigen. Um den Pflegenotstand zu kompensieren gibt es auf dem Markt immer mehr Leiharbeitnehmer. Hier besteht dann die Gefahr einer ungleichen Bezahlung und einer mangelnden Refinanzierung. Meiner Meinung nach fehlt es nicht an Menschen, die den Pflegeberuf ausüben möchten, sondern an guten Rahmenbedingungen für die Pflege. Die große Frage ist, wie wir diese Spirale stoppen können.

Michael Schubert: Als Einrichtung der Alten- und Eingliederungshilfe sehe ich ebenso diese Spirale. Angehörige stehen unter Druck, weil sie dringend ein Zimmer für einen Pflegebedürftigen brauchen. Gleichzeitig muss ein ganzer Stock einer Einrichtung geschlossen bleiben, weil das Personal fehlt. Das Anleihen von Pflegekräften ist nicht der richtige Weg aus der Krise.

Wie könnte man Ihrer Ansicht nach junge Menschen motivieren, den Pflegeberuf auszuüben?

Schubert: Viele der Anwärterinnen und Anwärter kommen aus dem Ausland. Mit einem hohen bürokratischen Aufwand versucht man, junge Menschen in die Pflegeausbildung zu bekommen. Doch die fremde Kultur und auch die Sprache sind große Hindernisse. Viele gehen nach der Ausbildung dann auch weg in Richtung Krankenhaus, weil dort die Bezahlung besser ist. Die finanziellen und strukturellen Ansätze müssten neu gefasst und gute, unbefristete Arbeitsplätze geschaffen werden. Mit mehr Menschen in der Pflege wird auch die Belastung des Einzelnen geringer.

Mengemann: Wir sollten die vorhandenen Versorgungsstrukturen in der Pflege auf notwendige Veränderungen hin kritisch überprüfen und wollen die Zukunft der Pflege aktiv mitgestalten. Wir brauchen zum Beispiel eine Entbürokratisierung, damit man dem Herzenswunsch, nämlich Menschen zu helfen, nachkommen kann. Wir müssen auch aufhören, die sozialen und pflegerischen Berufe schlecht zu reden. In unseren Einrichtungen bieten wir eine attraktive Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten. Es braucht mehr Good News über diese Arbeit.

Was macht den Beruf denn attraktiv?

Mengemann: Die Sinnhaftigkeit des Berufs. In der Caritas sprechen wir hier auch vom Auftrag. Daraus ziehen wir die Kraft, die es braucht, um die auch schwere und zum Teil belastende Arbeit mit Menschen in Notlagen zu gestalten. Aber klar, ohne gute Bezahlung geht es nicht. Ich glaube nicht, dass man diese Aspekte gegeneinander aufwiegen kann. Daher bieten wir attraktive Bezahlung für wichtige und wertvolle Arbeit.

Schubert: Das Zusammengehörigkeitsgefühl aller, die in der Pflege arbeiten und die Möglichkeit als Team und im Team zu arbeiten. Es ist eine Arbeit mit und an Menschen. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Und in unseren diakonischen Einrichtungen eben auch der mitarbeitende Mensch.

Welche Rahmenbedingungen bräuchten Einrichtungen wie die Ihre, damit ein spürbarer Ruck passieren kann?

Schubert: Ich denke, ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag wäre so ein Instrument. Dann müssten sich alle Anbieter daran halten, die Arbeitsplätze werden nach Qualität und nicht nur am Kriterium Geld verglichen. Und die Entbürokratisierung, damit der Mensch wieder im Mittelpunkt stehen kann.

Mengemann: Es braucht ein grundlegendes Umdenken in der Politik – weg von der Verwaltung, hin zur Gestaltung der Sozialen Daseinsvorsorge mit einer echten Pflegereform zur Überwindung der Grenzen zwischen Pflege- und Krankenversicherung. Wir brauchen mehr Flexibilität und Möglichkeiten der Personalgewinnung, wie z. B. die Teilzeitausbildung oder Helferausbildung für Menschen mit Fluchthintergrund. Das würde sich lohnen. Denn die soziale Daseinsfürsorge stärkt die gesamte Gesellschaft, hält sie zusammen und macht sie resilient gegenüber Spaltung und Populismus.

02.10.2023/Dekanat Ostalb/Sibylle Schwenk

Foto (Schwenk): Michael Schubert (links) und Markus Mengemann

Info: Im Jahr 2021 gab es in Deutschland 4,1 Millionen Pflegebedürftige. Diese Zahl hat sich innerhalb von 10 Jahren verdoppelt. Bis 2030 wird sie voraussichtlich um mindestens eine Million steigen– d.h. mehr als 5 Millionen Pflegebedürftige. (Quelle: Demografie-Portal)

Aktuell werden mehr 75 Prozent der fünf Millionen pflegebedürftigen Personen in Deutschland zu Hause versorgt. Ihre Betreuung erfolgte mehrheitlich allein durch Angehörige. Ambulante Pflegedienste unterstützten ein Fünftel der zu Hause lebenden Pflegebedürftigen. Bei jedem sechsten Pflegebedürftigen erfolgte die Versorgung vollstationär in Pflegeheimen

200.000 Pflegekräfte fehlen schon jetzt, und nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln wird diese Zahl bis 2030 auf eine halbe Million ansteigen – (Quelle: Pflege: Geld allein reicht nicht mehr – Institut der deutschen Wirtschaft (IW) (iwkoeln.de)