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Foto (Schwenk): Pfr. Jochen Leitner (links) und Pfr. Tobias Freff

Nur dagegen sein ist keine Alternative!

Sibylle Schwenk in der Reihe „kreuz und quer“ der Remszeitung

Nicht nur wegen der deutschen Geschichte wäre es fahrlässig, den schleichenden Wiederaufstieg einer in Teilen radikalen Partei im Deutschen Bundestag, der AfD, einfach zu ignorieren. Auch wenn Umfragen nichts darüber aussagen, wie viele der Befragten am Ende in der Wahlkabine tatsächlich ihr Kreuz bei der AfD machen, spiegeln die Werte eine gesellschaftliche Entwicklung wider. Verschiedene Faktoren wollen das Umfragehoch der AfD erklären. Wie sehen die beiden Theologen, der evangelische Pfarrer Jochen Leitner und sein katholischer Amtskollege Tobias Freff, die Situation?

Hohe Lebensmittel- und Energiepreise sowie eine wirtschaftliche Unsicherheit – damit erklären Politiker:innen das Umfragehoch der AfD…

Jochen Leitner: Die AfD lebt im Grunde von Wut, Empörung und Krisen. Zudem hat die Ampel-Regierung sich nicht gerade geschickt angestellt und vermittelt nicht das Gefühl von Sicherheit, beispielsweise als beim Heizungsgesetz wieder zurückgerudert wurde. Menschen haben Angst, dass ihr Geld nicht reicht und haben zum Teil dann wenig Vertrauen in die Regierung. Angst, auch Angst vor der Zerbrechlichkeit des Lebens, was durch Corona erlebt wurde, macht empfänglicher für radikale Aussprüche.

Tobias Freff: Wir Menschen wollen oft klare, eindeutige Antworten und einfache Lösungen für ein Problem. Zu akzeptieren, dass komplexe Fragen und Situationen, wie zum Beispiel die Klimakrise, nicht nur mit einer Antwort auskommen, ist für manche nur schwer auszuhalten. Dann wird eine Partei gewählt, die halt „dagegen“ ist. Dass die AfD jedoch keine eigene Alternative parat hat, wird ausgeblendet.

Kann man AfD-Wähler als „Spinner“ abtun? Kann man die AfD nicht einfach verbieten?

Freff: Natürlich kann man nicht jeden AfD-Wähler als Spinner abtun! Eine Gesellschaft muss verschiedene Meinungen und unterschiedliche Lösungsansätze aushalten. Man muss in aller Verschiedenheit in den Diskurs gehen. Jeder hat das Recht – Gott sei Dank – auf die eigene Meinung, aber nicht das Recht, dass ihr nicht widersprochen wird. Das Recht auf eigene Meinung ist ja kein Recht auf eigene Tatsachen. Nur im Diskurs kann man versuchen zu verstehen, warum diese Partei gewählt wird. Ein Verbot wäre sicher keine Lösung, wenn auch scheinbar einfach.

Leitner: Meiner Ansicht nach ist die Schwäche der anderen Parteien die Stärke der AfD. Die Parteien sollen sich klar positionieren und diese Positionen auch umsetzen. Vor Ort bleibe ich seit Jahren auch auf Social Media nicht mehr ruhig. Ich frage nach, ich möchte verstehen, was Menschen so wütend macht und warum sie eine Partei wie die AfD wählen. Schwierig wird es dann, wenn Menschen Tatsachen nicht mehr akzeptieren und wissenschaftliche Erkenntnisse verleugnen.

Welche Rolle spielt immer noch das Thema Migration?

Freff: Migration und der Umgang mit Flüchtlingen sind sozusagen ein Einfallstor für die Wählerschaft der AfD. Die Angst, dass einem etwas weggenommen wird, und andere nichts tun müssen, um hier vermeintlich gut leben zu können, steckt dahinter. Aber: Wir sind in diese Welt verknüpft. Wir sind Teil einer verwobenen Welt und keine Insel. Unser Leben, unsere Entscheidungen, unsere Politik und unser Handeln hat immer Auswirkungen auf andere – oder eben umgekehrt. Warum kommen Menschen aus den ärmsten Verhältnissen zu uns? In vielen Armutsregionen dieser Erde haben wir als Europäer geschichtlich Mitschuld an deren aktueller wirtschaftlicher Lage.

Leitner: Ich möchte es positiv darstellen: Ein Großteil der Migranten kommt aus wirklichen Krisengebieten. Ganz viele Kommunen, Kirchen und einzelne Menschen haben die Ankommenden hier gut begleitet. Flüchtlinge sind nicht verantwortlich für unsere klammen Sozialkassen, sondern deutlich stärker z.B. Steuerflüchtlinge, die hier der Gesellschaft einen großen Teil des Geldes vorenthalten! Als Christ muss ich auch ganz klar sagen: Jesus hat die Liebe zu allen Menschen vorgelebt. Auf den Punkt gebracht kann meiner Ansicht nach kein Christ die AfD wählen, denn Menschen- und Weltbild der AfD sind mit den Werten und Normen des Jesus von Nazareth unvereinbar.

Sind wir als Gesellschaft überhaupt fähig, zu einem guten Miteinander zu finden? Welche Rolle spielt die Kirche dabei?

Leitner: Wir müssen uns schon ehrlich als Kirche die Frage gefallen lassen, warum die Menschen die Antworten nicht mehr bei uns suchen… Das Denken in größeren Bezügen und der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus könnten uns wieder näher zusammenbringen. Unsere Welt ist kompliziert geworden. Täglich überfluten uns schlechte bis katastrophale Nachrichten. Ich fände es sinnvoll den Menschen zu vermitteln, dass die Welt gar nicht so schlecht ist, dass es auch durchaus gute Entwicklungen gibt. Und es wäre gut den Menschen mehr zu zeigen, dass sie nicht ohnmächtig sind und die Dinge einfach hinnehmen müssen, sondern dass sie durchaus handlungsfähig sein können.

Freff: Wir können wieder zu einem guten Miteinander finden, wenn wir darauf schauen, wie Jesus gelebt hat. Er ist auf alle Menschen zugegangen. Er hat sie ernst genommen. Er hat sich mit denen am Rand der Gesellschaft abgegeben, wie auch mit den vermeintlich Mächtigen und Angesehenen mit Einfluss. Aber er hat Stellung bezogen, wo es ungerecht wurde, Menschen ausgegrenzt oder ausgebeutet oder ihrer Würde beraubt wurden. Jesus war alles andere als ein Softie. So können wir als Kirchen – mit klarer Stellungnahme – in seiner Spur einwirken in einer Gesellschaft, in der Dinge in eine radikale Richtung laufen.