Ich sehe was, was du nicht siehst
Pfr. Sven van Meegen in der Reihe „Wort zum Sonntag“ – Schwäbische Post
Ein Mitspieler fasst einen Gegenstand ins Auge, und alle anderen müssen raten, was das wohl sei. Offensichtlich ein passendes Bild für unser Alltagsleben: Wissen bedeutet eben Macht. Und Macht macht den Wissenden wichtig. ,,Das ist ja interessant – was du schon wieder weißt“, und die mitschwingende Bewunderung ist kaum zu überhören.
Noch ehe der neue Mitarbeiter oder die Chefin ihre Stelle überhaupt angetreten haben, kennen manche bereits alle Einzelheiten. Bereits bevor die neue Mitschülerin den Klassenraum betritt, sind die ersten Gerüchte über sie schon in Umlauf. Der Möbelwagen der alten Mieter ist noch nicht fort, da wissen einige im Haus schon längst, was es mit den zukünftigen Nachbarn auf sich hat.
Ich sehe was, was du nicht siehst!
Im Alten Testament sagten die Propheten diesen Satz: ob gelegen oder ungelegen verkündigten sie den Menschen, was ungerecht war in ihrem Leben und ihrem Verhalten.
In der Sonntagslesung aus Jesaja (49,3.5-6) heißt es:
„Ich mache dich zum Licht für die Völker, damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht.“
Ausgerechnet zu einem Knecht sagt das Gott! Das dreht alle Maßstäbe um. Ein Licht für die Völker ist in der Bibel das Sinnbild für Mitmenschlichkeit und Gottesnähe. Das heißt: nicht nur die Auserwählten, die Großen und Mächtigen sind von Gott besonders geliebt, sondern alle Menschen, besonders die am weitesten von Gott entfernten. Das ist schwer zu ertragen für manche, die sich für was Besseres halten.
Wenn jemand die Wahrheit sagt, kritisiert oder wenn man auf jemanden neidisch ist… wird gesucht. Und wenn man nichts findet, dann erfindet man etwas. Bis das rauskommt, ist der Ruf längst ruiniert. Das macht es bis heute schwierig, Visionen zu haben und zu leben. Trotzdem wagen es bis heute Menschen, Licht für andere zu sein: im Glauben, in der Pflege, in der Not, für Flüchtlinge, in Kleinigkeiten und Krisen.