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Foto (Schwenk): Martin Keßler mit Cassy (rechts) und Nika

Immer dann, wenn Worte fehlen

27.12.2022 Sibylle Schwenk

Sie können nicht reden und nicht tröstend den Arm um die Schulter eines Menschen legen, der gerade eine furchtbare Todesnachricht erhalten hat. Sie können auch nicht die nächsten Schritte, die nun zu tun sind, einleiten. Aber dennoch bewirken sie viel: Cassy und Nika sind Australian-Shepherd-Hündinnen. Wenn sie da sind, können sich Spannungen oder gar eine Schockstarre lösen.

Die Einsätze von Martin Keßler, Seelsorger für Menschen in Not im Dekanat Ostalb, sind nicht gerade einfache Kost. „Wir werden über die Einsatzleitstelle zum Überbringen von Todesnachrichten, bei Suizid oder plötzlichem Kindstod, gerufen“, berichtet Martin Keßler. Die ersten paar Stunden ist Martin Keßler dann in der Familie und zwar so lange, bis er spürt, dass die betroffenen Menschen „wieder einigermaßen klar denken“ können. Mit dabei sind häufig seine Hunde Cassy und Nika. „Sie wirken oft wie Eisbrecher“, erzählt der Seelsorger.

Martin Keßler ist ein Hundemensch. Er kennt die kleinen und großen Qualitäten seiner vierbeinigen Freunde, die ganz unterschiedlich sind. Während die elf Jahre alte Cassy ganz in sich ruht und über eine ganz große, charakterliche Festigkeit verfügt, ist die fünf Jahre alte Nika ein Wirbelwind, Hütehund durch und durch. Doch gerade mit ihr machte Martin Keßler seine erste, wegweisende Erfahrung, wie Hunde auf Menschen in krisenhaften Situationen wirken können:

Nika war noch ein kleiner Welpe und Martin Keßler musste zum Einsatz als Notfallseelsorger. Da niemand zuhause war, der auf die kleine Nika aufpassen konnte, nahm er sie zum Einsatz mit. „Natürlich habe ich vorher gefragt, ob das in Ordnung geht, wenn ich Nika mitbringe“, erinnert sich der Seelsorger. In der Familie war ein Säugling am plötzlichem Kindstod verstorben. Die größeren Kinder haben sich sofort Nika zugewandt und der kleine Welpe hat die Situation völlig entspannt. „Ich konnte daraufhin mit der Familie ein gutes Gespräch führen“, erinnert sich Martin Keßler.

Immer öfter nahm er jetzt die kleine Nika und die ältere Cassy mit zu seinen Einsätzen, das Einverständnis der Betroffenen vorausgesetzt. Cassy ist mit ihrer Ruhe und Gelassenheit einfach da, lässt sich streicheln und legt sich neben den Menschen, der gerade in dieser schmerzvollen Situation verhaftet ist. Martin Keßler beobachtet, dass durch das Streicheln etwas in den Menschen passiert und leichter Gespräche möglich sind.

Auch Nika ist für ihn eine wertvolle Begleiterin geworden. Mit ihren Eigenschaften als Hütehund ist sie besonders hilfreich in Situationen, wenn Menschen in Aktionszwang geraten. Sie stupst dann mit ihrer Fellnase und will damit sagen: „Hey, komm mal runter, es wird alles wieder gut.“

Nika und Cassy sind ausgebildet als Besuchshunde. Sie sind ein tolles Team und für Martin Keßler unersetzlich geworden. Er selbst achtet darauf, dass es seinen Hunden bei den Einsätzen gut geht. Denn: „Es ist für die Hunde sehr anstrengend, sich beispielsweise von einem Fremden streicheln zu lassen.“ Keßler nimmt sie dann rechtzeitig raus aus der Situation, wenn er merkt, dass es für seine Hunde zu viel wird.

„Ein Hund bringt etwas, was du selbst nie bringen kannst“, ist Martin Keßler überzeugt. Deshalb sind Cassy und Nika ständig an seiner Seite, sei es bei den Einsätzen in der Notfallseelsorge oder im Hospiz. Ihm selbst falle es auch leichter, wenn seine beiden Fellnasen dabei sind, gibt er zu. Immer dann, wenn Worte fehlen.