Foto (privat): Pfarrer Daniel Psenner und Pfarrerin Margot Neuffer im Gespräch für die Reihe kreuz und quer in der Remszeitung

In der Ruhe das Heilsame entdecken

Sibylle Schwenk

Zeit – ein kostbares Gut. Immer mehr Menschen fühlen sich von ihrem Alltag gestresst, haben zu wenig Zeit für sich selbst, für schöne Begegnungen, für Gespräche. Als in der Hochphase der Pandemie alle Veranstaltungen abgesagt wurden, kehrte zwangsläufig eine gewisse Ruhe in der hektischen Betriebsamkeit des öffentlichen und privaten Lebens ein. Manche Menschen empfanden das als Gewinn.

Ob wir nun Zeit haben müssen oder uns einfach Zeit nehmen: Zeit will sorgfältig „verplant“ sein. Wofür nehme ich mir Zeit? Was ist wichtig in meinem Leben? Ist es Gott und mein Glaube? Wie viel Zeit bleibt eigentlich noch für den Glauben? Ein Gespräch mit der evangelischen Pfarrerin Margot Neuffer und dem katholischen Pfarrer Daniel Psenner in der Reihe kreuz und quer.

Spielt überhaupt der Glaube noch eine Rolle bei den Menschen?

Neuffer: Ob es bei den anderen so ist, kann ich nicht beurteilen, bei mir schon. Für mich ist der Glaube ein roter Faden im meinem Leben.  Ich glaube, dass Menschen heute immer mehr auf der Suche nach etwas sind, das ihnen sprichwörtlich ‚etwas bringt‘. Also ist die Frage, lohnt es sich, Zeit für den Glauben zu „investieren“? Man will ja etwas aus seiner Zeit ‚rausholen‘. Der Glaube verfolgt aber keinen Zweck. Es geht nicht darum, sich Zeit zu nehmen für den Glauben, sondern im Glauben die eigene Zeit zu verstehen: als wunderbares Geschenk von unschätzbarem Wert noch bevor wir etwas daraus gemacht haben.  

Psenner: Früher war der Glaube im alltäglichen Leben präsent. Der Glaube saß im Herzen der Menschen, ohne dass sie groß darüber nachgedacht haben, und sie arbeiteten mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Die Menschen heute haben das ursprüngliche Vertrauen verloren. Dennoch sind sei auf der Suche. Die Pflege des Glaubens geschieht nicht unbedingt in der Kirche, Menschen beten, aber nicht unbedingt miteinander. Beten ist eher zur Privatsache geworden.  

Würden uns gewisse „Auszeiten“ im Alltag guttun?

Psenner: Ja, ich glaube schon. Es ist gut, bewusst den Alltag zu unterbrechen, einen Cut zu machen, um die Spuren des Glaubens wahrnehmen zu können. Ich versuche eigentlich immer im Gespräch mit Gott zu bleiben. Etwas ‚tun zu müssen‘ liegt einfach auch in unserer Mentalität. Für die Begegnung mit Gott muss man nichts tun. Man muss ihm nur Raum geben – und Zeit.

Neuffer: Natürlich. Klar hatten Glaube und Kirche vor 30 Jahren noch einen anderen Stand als heute. Sie waren allein durch die damals größere Wertschätzung mehr anwesend in der öffentlichen Wahrnehmung. Gott selbst ist ja kein Gegenstand. In unserer Zeit neigt man leicht dazu, nur wahrzunehmen, was man sehen kann. Das funktioniert mit Gott nicht. Man muss sich mit dem Glauben beschäftigen und darüber sprechen, oder einfach: selbst mit Gott im Dialog sein.

Wie kann man heute den Menschen nahebringen, dass die Zeit, die wir haben, eine von Gott geschenkte Zeit ist?

Neuffer: Dass Zeit ein Gottesgeschenk ist, wird uns häufig erst bewusst, wenn wir tiefe Einschnitte im Leben erfahren, etwa durch eine schwere Krankheit. Dann wird auch klar: Was aus meinem Leben wird, habe ich nicht alleine in meiner Hand. Machen wir uns öfter wieder bewusst, dass dort, wo wir selbst gar nichts gemacht haben, etwas entstanden ist, und vertrauen wir darauf, dass nicht alles in unserer Macht steht. Im Glauben gibt es so viel Heilsames. Ich bin davon überzeugt, dass es immer Menschen geben wird, die das erkennen und erfahren.

Braucht man einfach Ruhephasen, um der Begegnung mit Gott Raum geben zu können?

Neuffer: Man bräuchte sie, ja, aber viele können solche Ruhephasen gar nicht mehr aushalten! Aber wir brauchen sie, um im Allerinnersten den Finger Gottes zu spüren. Manchmal fehlen uns einfach auch die Worte, um eine solche Erfahrung auszudrücken und verständlich machen zu können. Die Sprachfähigkeit des Glaubens ist verloren gegangen. Viele Menschen haben aber dennoch Sehnsucht nach dem Glauben. So sehen wir oft Eltern, die gerne möchten, dass ihre Kinder glauben, obwohl sie selbst schon lange davon weg sind.

Haben Sie ganz praktische Tipps parat, wie man aus dem Hamsterrad der Zeitnot herausfinden kann und wie kann uns der Glaube dabei helfen?

Psenner: Wir Seelsorger betrachten genau das als unsere Aufgabe, Räume zu schaffen und aufzumachen, damit man etwas runterkommen kann. Auch wenn wir Menschen oder Dinge segnen, die für ihr Leben wichtig sind, machen wir Räume auf. Damit sagen wir: ‚Gott ist da, auch in Deinem Leben. Auch wenn du es nicht immer wahrnimmst‘. Ebenso all das aufzuschreiben, was momentan schmerzt, kann hilfreich sein. Diese Gedanken dann an Gott abzugeben schafft Erleichterung.