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Maier Hilsenbeck

Darauf vertrauen, dass es wieder gut wird

13.07.2022 Sibylle Schwenk

Allzu weit mag man momentan nicht in die Zukunft sehen. Große Brocken liegen vor uns, die wir selbst nur bedingt beeinflussen können. Es geht um die Pandemie, um die schwelende Angst vor einem Weltkrieg, um die Klimaerwärmung mit all ihren fatalen Folgen. Die Fähigkeit, immer wieder aufzustehen und weiterzumachen, nennt man Resilienz. Sie ist uns Menschen eigen. Im Alltag der Klinik, wo zu den bestehenden Krisen noch die ganz persönliche der Krankheit hinzukommt, ist der Resilienzfaktor besonders bedeutend. Manche stehen Schweres durch, manche zerbrechen daran. Wie kann man Resilienz üben? Wie können wir aus Krisen gestärkt hervorgehen? Ein Gespräch mit dem katholischen Klinikseelsorger Benedikt Maier und seinem evangelischen Kollegen, Pfarrer aus Bartholomä, Tino Hilsenbeck.

Wie kann man Krisen möglichst gut für sich einschätzen?

Maier: Krisen bedeuten tiefe Einschnitte im Leben, etwa bei einer Trennung, einem Todesfall, einer Entlassung oder wie bei uns hier am Klinikum bei einer schweren Erkrankung. Plötzlich und unfreiwillig werde ich aus meiner gewohnten Lebensbahn geworfen und stürze in ein Chaos an Gefühlen von Verzweiflung, Angst, Wut, Selbstmitleid, Depression, Hoffnungslosigkeit…Wenn es mir gelingt, dieses Chaos zumindest ein wenig für mich zu ordnen, kann in der jeweiligen Krisensituation auch die Chance für deren Überwindung erkannt werden.

Hilsenbeck: Als Menschen wollen wir unser Leben selber im Griff haben. Das gelingt bei dieser Verdichtung von Krisen oft nicht mehr. In Krisenzeiten sind Familie und Freunde diejenigen, die uns am nächsten stehen, tragen und auffangen, also das tragfähigste Netz. Aber gerade dieses hat durch die Pandemie Risse bekommen, z.B. durch unterschiedliche Einstellung zur Impflicht.

Wie macht man sich die eigene Fähigkeit der Resilienz bewusst?

Hilsenbeck: Wir alle haben im Leben bereits Krisen durchgestanden und überstanden. Dieses Bewusstsein kann uns helfen, die eigene Resilienz zu stärken sich zu sagen: ‚Ich kann das schaffen, denn ich habe schon andere Herausforderungen und Krisen bewältigt‘. Auch das Gespräch und der Austausch mit nahestehenden, vertrauten Personen, kann eine hilfreiche Ressource sein, z.B. einen Freund, den man schon lange nicht mehr gesprochen hat, anrufen und mit ihm/ihr zu sprechen. Vielleicht auch, weil das schon einmal geholfen hat. In der Krise hat man auch die Chance die Dinge neu zu bewerten. Im besten Fall kommt man zu dem Schluss, dass man eigentlich mit der eigenen Situation doch ganz zufrieden sein kann, weil es anderen noch viel schlechter geht. Mit sich selbst im Reinen, zufrieden zu sein, ist ein großer Resilienzfaktor.

Maier: Indem ich mir zunächst bewusstmache, dass Resilienz weit mehr umfasst als Selbstoptimierung und Krisenresistenz. Resilienz meint nicht Unverletzlichkeit, sondern das Glück gelingenden Lebens inmitten aller Verwundungen und Unvollkommenheiten. Tragfähige soziale Beziehungen in Familie oder Freundeskreis gerade in Krisenzeiten, die ich in der Vergangenheit gemacht habe, können für die Gegenwart unendlich wertvoll für mich werden.

Menschen in der Klinik sehen sich oft mit schweren Krankheit und/oder nahendem Tod konfrontiert. Wie kann hier die Stärkung aussehen?

Maier: Größtmögliche Offenheit bei allen Beteiligten. Falsche Vertröstungen wie „Das wird schon wieder!“ sind völlig fehl am Platze. Das Schwere, Leidvolle des anderen mitauszuhalten, daraus kann echte Stärkung für alle erwachsen.

Welche Möglichkeiten gibt es, die Fähigkeit der Resilienz in sich zu entdecken?

Maier: Zum großen Teil kann man Resilienz erwerben. Natürlich gibt es Menschen, die von sich aus robuster, widerstandsfähiger sind. Das kann „ererbt“ sein. Entscheidender ist jedoch: Resilienz bedeutet einen lebenslangen Prozess durchlaufen, eine Art von Entwicklungsergebnis. Der Resilienzforscher Martin Schneider benennt vier Aspekte, die eine resiliente Gesellschaft auszeichnen: das Ernstnehmen von Gefahren, eine angemessene Vorbereitung, die Anpassung an die neue Realität und die Fähigkeit, Veränderung zuzulassen.

Wie kann der christliche Glaube in Krisen weiterhelfen?

Maier: Fest steht für mich, dass der Glaube Resilienz fördern kann. Das Vertrauen erlangt hierbei eine zentrale Bedeutung. Das zeigt sich auch, wenn wir in die Bibel schauen: Wer auf Gott vertraut, geht nicht zugrunde. Gottvertrauen wird als Schlüssel für Krisenbewältigung verstanden und als Kraft erfahren, um Schweres durchzustehen. Weil wir uns von Gott getragen fühlen, können wir zumindest etwas gelassener mit der Situation umgehen. – Natürlich müssen wir auch das Bedürfnis haben, die Kontrolle zu behalten. Sonst werden wir von der über uns hereinbrechenden Krise überrollt. Aber auf der anderen Seite ist eine gewisse Gelassenheit notwendig – und das Gefühl, dass es schon irgendwie gut ausgehen wird. Eine Haltung, die wir ganz oft bei den Psalmbetern vorfinden.

Hilsenbeck: Wenn ich gut im Glauben stehe, verlasse ich mich auf Gott und auf Jesus, der alle Krisen überstanden hat. Ich vertraue darauf, dass es wieder gut wird, auch wenn ich den Weg aus der Krise heraus selbst nicht sehen kann.