"Ohne Schuld kommt da niemand raus"
29.06.2022/Dekanat Ostalb/Sibylle Schwenk
Eine ganze Liste an Waffen hat Deutschland seit Beginn des Krieges in der Ukraine dorthin geliefert. Darunter mehrere tausend Panzerfäuste, Flugabwehrraketen, Fliegerfäuste, Munition, Maschinengewehre, Handgranaten und Sprengladungen. Heftig diskutiert und letztendlich verabschiedet wurde die Lieferung von schweren Waffen. Die Ukraine soll sich verteidigen dürfen. Die Solidarität mit dem Land steht im Vordergrund. Im Hintergrund schwelt die Angst vor einem dritten Weltkrieg mit, vor einem Atomkrieg, wenn Deutschland zur Kriegspartei wird. Für Christen stellt sich außerdem die Frage: Ist es ethisch vertretbar Waffen zu liefern? Wie stehen Solidarität und das Recht auf Selbstverteidigung diesem blutigen Krieg gegenüber? Ein Gespräch mit Dekanin Ursula Richter und Dekan Robert Kloker.
Wie ist die Haltung der Kirchen zu diesem Krieg?
Dekan Robert Kloker: Als Kirchen stehen wir ganz klar für De-Eskalierung. Es gilt, auf verschiedenen Ebenen zu einer Konfliktlösungsstrategie zu kommen. Wir fordern: Legt die Waffen nieder! Die Aktualität der Botschaft Jesu wird hier ganz deutlich: Es gibt keine Alternative zum Frieden. Es ist ein schreckliches Dilemma, in dem wir uns befinden. Die christliche Botschaft ist eindeutig und klar. Doch es wurde seitens der katholischen Bischöfe auch festgelegt: Wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, kann man einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen.
Die Lieferung von Waffen ist also gerechtfertigt?
Dekanin Ursula Richter: Es ist dann gerechtfertigt, wenn man dadurch einen Schwächeren schützt, der sich gegen eine ungerechtfertigte Aggression verteidigen muss. So wie in diesem Fall des Ukraine-Konflikts. Man setzt sich für Gespräche und Diplomatie ein, aber erfährt, wie machtlos man ist, wenn ein Aggressor wie Putin einen Krieg will. Wir müssen aushalten, dass es keine einfache Lösung gibt und dürfen nicht nachlassen, nach anderen Konfliktlösungstrategien zu suchen. Aber – und hier zitiere ich die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus: ‚Wir können in dieser Situation keine weiße Weste behalten. Wenn wir keine Waffen liefern, machen wir uns genauso schuldig, wie andersherum.‘ Dietrich Bonhoeffer erkannte im Blick auf den Aggressor Hitler, dass man „dem Rad in die Speichen fallen muss“, um Schlimmeres zu verhindern.
Im Matthäus-Evangelium steht: „Wenn dir einer auf die linke Wange schlägt, dann halte ihm auch die rechte hin“…
Kloker: Es geht darum Gewalt nicht mit Gegengewalt zu beantworten. Der Diplomatie muss man genügend Raum geben. Wenn man sich das vor Augen hält ist es schon deprimierend, wie tief man in der Weltpolitik im gegenseitigen Umgang gesunken ist. Ich bin froh und dankbar, dass wir einen Kanzler haben, der besonnen und ruhig handelt.
Richter: Ja, denn der Strudel der Gewalteskalation ist gefährlich. Vor allem wir Deutschen kommen aus einer Geschichte der Aggression, deshalb stand es Deutschland gut zu Gesicht, dass wir im Frieden mit allen leben wollten, auch mit Russland. Und auch jetzt besonnen bleiben. Doch ich empfinde es als eine große Tragik, dass Putin die Ukraine unrechtmäßig mit Waffengewalt überfallen hat und die UkrainerInnen jetzt dringend auf unsere Hilfe durch Waffen angewiesen sind.
Wie kann es in diesem Konflikt weitergehen?
Richter: Keiner gewinnt durch die Toten! Es gilt einen gerechten Frieden auszuhandeln. Von Seiten der Kirchen muss Kyrill, Patriarch der orthodoxen Kirche Russlands, in die Pflicht genommen werden. Er schürt Hass gegen den Westen und liefert Putin pseudoreligiöses und „moralisches“ Futter für diesen Krieg. Diese Haltung ist verwerflich! Das Gespräch mit der russ.-orth. Kirche darf nicht abbrechen. Es wäre gleichzeitig Hohn, wenn die Kirchen einfach den Ukrainern sagen würden: Legt die Waffen nieder- Krieg darf nach Gottes willen nicht sein. Auch Unfreiheit und Ungerechtigkeit darf nach Gottes Willen nicht sein! Darum: Putin, leg die Waffen nieder!
Kloker: Wir brauchen andere Mechanismen der Friedenssicherung. Die UNO kann nicht intervenieren, ebenso wenig der Sicherheitsrat. Die internationale Sicherheitsarchitektur ist nicht effizient genug. Die Nachkriegsordnung, in der wir in Europa seit über 70 Jahren friedlich gelebt haben, liegt nun hinter uns. Jetzt brauchen wir eine neue, wirkende Sicherheitsarchitektur, in der jedes Land seine Rolle hat.
30.05.2022/Dekanat Ostalb/Sibylle Schwenk
Foto (Schwenk)
Wichtige Positionierung der christlichen Kirchen:
EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus: „Unsere Friedensethik darf nicht zu einer steilen Ideologie werden, die wir anderen vorhalten, um selbst edel und gut zu bleiben. Die Kategorien richtig und falsch taugen nichts. Es wird immer deutlicher in diesem Krieg: Ohne Schuld kommt da niemand raus, egal wie wir handeln oder nicht handeln und uns positionieren.
Die katholischen Bischöfe hatten sich bereits Anfang März klar positioniert. „Rüstungslieferungen an die Ukraine, die dazu dienen, dass das angegriffene Land sein völkerrechtlich verbrieftes und auch von der kirchlichen Friedensethik bejahtes Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen kann, halten wir für grundsätzlich legitim“, hieß es in einer Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz. „Es ist denjenigen, die die Entscheidung zu treffen haben, aber aufgetragen, präzise zu bedenken, was sie damit aus- und möglicherweise auch anrichten. Dies gilt gleichermaßen für die Befürworter wie für die Gegner von Waffenlieferungen.“